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Seminar Allgemeine Sprachwissenschaft


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Vom WS 95/96 bis zum SS 2000 wurde das Seminar Allgemeine Sprachwissenschaft von Pius ten Hacken veranstaltet. Diese Seite enthält kurze Beschreibungen dieser Veranstaltungen. Die späteren Veranstaltungen, durchgeführt von Jürg Niederhauser, werden in den entsprechenden Vorlesungsverzeichnisse der Allgemeine Sprachwissenschaft beschrieben.

SS 2000: Minimalistisch und optimal: Chomskys Syntaxtheorie in den neunziger Jahren

WS 99/00: Übersetzung: Die Zusammenarbeit von Mensch und Computer

SS 99: Was ist (eine) Sprache? Vier verschiedene Sichtweisen auf das Phänomen der menschlichen Sprache

WS 98/99: Spracherwerb und Chomskys Sprachtheorie

SS 98: Wahrheit, Sprache und Bedeutung

WS 97/98: Generative Morphologie

SS 97: Semantik in der generativen Grammatik: Jackendoff's Conceptual Structure

WS 96/97: Chomsky's Government & Binding Theorie

SS 96: Mentalismus in der Linguistik: Die Grammatik im Kopf

WS 95/96: Maschinelle Übersetzung

Minimalistisch und optimal: Chomskys Syntaxtheorie in den neunziger Jahren

    In der sog. 'Chomskyanischen Revolution', Ende der fünfziger Jahre, hat sich Chomskys Syntaxtheorie in ihrem Fachbereich eine vorherrschende Stellung erobert, die sie bis jetzt überzeugend gehalten hat. Dabei hat sich die Theorie ständig erweitert und verbessert, um ihrem Ziel näher zu kommen. Das Ziel der Theorie ist die Erklärung des Phänomens, dass Menschen als Kind eine Sprache erwerben, wobei die grosse Vielfalt an Sprachen keinen Einfluss auf den Erfolg des Erwerbsprozesses hat.
    Die in den achtziger Jahren entwickelte "Principles & Parameters Theory" (PPT), auch bekannt als "Government & Binding Theory", zeigt ein grosses Erklärungspotential auf. Aus ihrer Anwendung auf immer mehr Daten aus immer mehr unterschiedlichen Sprachen hat sich aber auch eine gewisse Menge Problemfälle ergeben. Diese Daten können zwar im Prinzip innerhalb der PPT behandelt werden, aber führen zu einer Komplizierung der Theorie.
Anfang der neunziger Jahre fühlte sich Chomsky deshalb zu einer Rückbesinnung auf die grundsätzlichen Ziele und Mittel der PPT veranlasst. Sein "Minimalist Program" (MP) versucht, die Mechanismen in der Grammatiktheorie auf das Minimum zu beschränken. Das MP bildet keine ausgearbeitete Theorie wie die PPT, sondern einen Ansatz, wie die Entwicklung der Theorie am besten vorankommen kann.
    Gleichzeitig wurde unabhängig von Chomsky in der Phonologie die "Optimality Theory" (OT) entwickelt. Die OT bildet einen allgemeinen neuen Ansatz, wie Regeln zu formulieren und interpretieren sind. Interesssanterweise ist dieser Ansatz in ihrer Wirkung nicht auf der Phonologie beschränkt, sondern zeigt Konvergenzen mit dem MP auf.
    Im Seminar werden wir die Hintergründe und wichtigsten Tendenzen des MP und der OT anhand von ausgewählten Texten betrachten. Es werden keine Vorkenntnisse über Chomskys Theorien vorausgesetzt

Übersetzung: Die Zusammenarbeit von Mensch und Computer

Ziel dieser Veranstaltung ist es, Einsicht zu vermitteln in die Probleme der Übersetzung und in die Weise, wie Computerprogramme den Übersetzungsvorgang unterstützen können.

Schon 1949, als der Computer noch kaum erfunden war, wurde vorgeschlagen, ihn für die Übersetzung einzusetzen. Die damit verbundenen Probleme wurden lange Zeit stark unterschätzt. Das Ausmass dieser Probleme kann nur durch eine Betrachtung der Arbeitsweise in der menschlichen Übersetzung richtig erfasst werden. Einige der neuesten Systeme für maschinelle Übersetzung haben deshalb ihre Zielsetzung bescheidener angesetzt oder die Methode grundlegend geändert. Das Seminar behandelt traditionelle Systeme der maschinellen Übersetzung, Theorien der menschlichen Übersetzung und neue Ansätze in der maschinellen Übersetzung (Verbmobil). Es sind auch einige Übersetzungsübungen vorgesehen.

Eine Bibliographie mit behandelten Texten sowie Hintergrundliteratur wird in der ersten Stunde bekanntgegeben. Die Texte sind in Deutsch, Englisch, und Französisch. Als orientierende Literatur eignen sich:
Stolze, Radegundis (1994), Übersetzungstheorien: Eine Einführung, Tübingen: Narr.
Hutchins, W. John & Somers, Harry L. (1992), An Introduction to Machine Translation, London: Academic Press.

Was ist (eine) Sprache? Vier verschiedene Sichtweisen auf das Phänomen der menschlichen Sprache

Es werden vier Ansätze der Sprachwissenschaft behandelt, die den Begriff Sprache in unterschiedlicher Weise definieren:
 
  • Korpusbasierte Linguistik sucht die Sprache in einem Korpus. Diese Form ist seit langem in der Lexikographie üblich und neuerdings vermehrt in der Computerlinguistik.
  • Behaviourismus versucht, die Sprache auf Basis der Auswirkungen im Gebrauch anzugehen. Pionierarbeit in diesem Ansatz wurde von Leonard Bloomfield geleistet.
  • In der logischen Semantik wird eine Sprache oft als abstraktes Objekt betrachtet, wovon individuelle Menschen beschränkte Kenntnisse haben. Diese Sichtweise ist auch in der Computerlinguistik verbreitet.
  • Mentalistische Linguistik nimmt an, dass Sprache eine Wissenskomponente im Gehirn der individuellen Menschen ist. Nach Pionierarbeit von Noam Chomsky ist diese Sicht vor allem in der theoretischen Syntax, Morphologie und Phonologie verbreitet.

  • Anhand von Texten, die eine Sicht repräsentieren und zum Teil andere Sichtweisen angreifen, werden Argumente für und gegen diese unterschiedlichen Betrachtungsweisen diskutiert. Die genaue Organisation und der Wochenplan werden in der ersten Sitzung festgelegt.

    Spracherwerb und Chomskys Sprachtheorie

    Wenn Kinder ihre Muttersprache lernen, meistern sie ein kompliziertes System. Diese Leistung zu erklären ist immer ein Ziel der Chomskyanischen Sprachtheorie gewesen. In diesem Seminar werden einige Aspekte von Chomskys Theorie in den Kontext des Spracherwerbs plaziert. Es stellt sich dabei heraus, dass in dieser Weise Chomskys Theorie sinnvoller erscheint und daher leichter verständlich wird.

    Ziel dieses Seminars ist nicht, einen vollständigen Überblick über Chomskys Theorie zu bieten, sondern Einsicht in den Sinn bestimmter Elemente dieser Theorie zu vermitteln. Weder von Spracherwerbstheorie noch von Chomskys Sprachtheorie werden Vorkenntnisse vorausgesetzt. In der ersten Sitzung werden eventuelle Vorkenntnisse bzw. Wissenslücken besprochen, damit alle teilnehmenden Studierenden optimal von diesem Seminar profitieren können. Das nachfolgende Buch wird als Leitfaden dienen:

    Atkinson, Martin (1992), Children's Syntax: An Introduction to Principles and Parameters Theory, Oxford: Blackwell.

    Wahrheit, Bedeutung und Sprache

    Warum kann man aus (1) und (2) zwar (3) ableiten, aber nicht aus (1) und (4) (5) ?
    1. Ich habe ein Auto mit ABS gekauft.
    2. ABS ist ein Bremssystem.
    3. Ich habe ein Auto mit einem Bremssystem gekauft.
    4. ABS ist eine Abkürzung.
    5. Ich habe ein Auto mit einer Abkürzung gekauft.
    Während eines Grossteils dieses Jahrhunderts wurde die Satzsemantik als Teil der Philosophie behandelt. Seit den siebziger Jahren gibt es auch in der Linguistik mehrere Theorien, die sich mit der Satzsemantik beschäftigen. Bei der Beantwortung von Fragen wie der obenstehenden bauen sie mehrheitlich auf die von Philosophen wie Frege, Wittgenstein, Quine, Carnap, usw. gelegten Grundlagen auf. Um sich in semantische Theorien der modernen Linguistik einzuarbeiten, ist es daher fast unumgänglich, Vorkenntnisse im Bereich der philosophischen Bedeutungsforschung zu haben. Ziel dieses Seminars ist es, diese Grundlage zu vermitteln. Dazu werden anhand einer aus linguistischer Sicht geschriebenen Einführung ausgewählte Themen der Sprachphilosophie behandelt, wobei immer die Verbindung mit der modernen Semantik berücksichtigt wird.

    Mackenzie, I.E. (1997), Introduction to Linguistic Philosophy, Thousand Oaks (CA): Sage.

    Generative Morphologie

    Die erste Assoziation mit Morphologie ist vielleicht die Auflistung von regelmässigen und unregelmässigen Flexionsformen im Lateinischen. Wie in diesem Seminar klar wird, spielt so eine Beschreibung höchstens eine marginale Rolle in der generativen Morphologie. Die Einführung in den ersten beiden Wochen ist dazu gedacht, einen ersten Eindruck von den Themenbereichen und Problemen zu geben, mit denen sich die generative Morphologie hauptsächlich beschäftigt. Obwohl die Regeln abstrakter sind als in den meisten Formen der nicht-generativen Morphologie, sind sie deutlich leichter verständlich als die der generativen Syntax. Nach der Einführung werden sechs Themen behandelt, jeweils in zwei Wochen. Die Studierenden beschäftigen sich mit einem dieser Themen anhand einer kurzen Literaturliste (ca. 120 Seiten pro Thema). Sie präsentieren die Literatur den anderen, die sie nicht gelesen haben. Die Literatur ist mehrheitlich in Englisch. Die nachfolgende Themenliste kann, nach Absprache mit dem Dozenten, eventuell geändert werden.

    1. Verbal Compounds

    Zusammensetzungen wie truck driver bestehen eigentlich aus drei Elementen: truck, drive, und -er. Wie wird die Struktur, Bildung, und Bedeutung aus diesen Teilen abgeleitet ?

    2. Nominalklassen

    Wir sind daran gewöhnt, dass Nomina ein Wortgeschlecht haben. In Sprachen wie Spanisch wird es scheinbar in der Endung ausgedrückt, z.B. -a für feminin, aber es gibt dabei viele Ausnahmen und Problemfällen. Wie sollten diese Endungen tatsächlich analysiert werden ? Und was sollten wir halten von Behauptungen, dass es Sprachen gibt mit über zwanzig Wortgeschlechten ?

    3. Possessivendungen

    Im Englischen drückt die in den meisten Fällen als 's geschriebene Endung den Genitivfall aus, z.B. John's book. Anders als im Deutschen ist es aber auch möglich, die Endung an einen anderen Nomen als den Besitzer anzufügen, z.B. the man on the corner's hat. Was bedeutet das für die Analyse des Genitivs im Englischen und im Deutschen ?

    4. Produktivität

    Eine morphologische Regel ist produktiv in dem Mass, in dem neue Wörter nach dieser Regel gebildet werden oder werden können. Wie kann man die Produktivität einer Regel messen ?

    5. Righthand Head Rule (RHR)

    Im Englischen haben die meisten neugebildeten Wörter die syntaktische Eigenschaften ihres rechten Elementes, z.B. taxfree ist ein Adjektiv da free ein Adjektiv ist, und driver ist ein Nomen wegen -er, obwohl drive ein Verb ist. Welche Probleme ergeben sich, wenn wir diese Regel generalisieren und welche Lösungsansätze gibt es dazu ?

    6. Bracketing Paradoxes

    Ein Ausdruck wie transformational grammarian hat die morphosyntaktische Struktur transformational [grammarian] aber die Bedeutung ist von der Struktur [transformational grammar]ian abgeleitet. Wie wird dieser Widerspruch gelöst ?

    Semantik in der generativen Grammatik: Jackendoff's Conceptual Structure

    In der amerikanischen Linguistik wurde die Semantik traditionell einigermassen vernachlässigt. Auch in Chomsky's Sprachtheorie wird diesem Bereich der Linguistik keine prominente Stelle eingeräumt. Die generative Semantik (±1966 bis ±1978) hat zwar versucht, dies zu ändern, konnte aber ihren wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht werden. Seit Anfang der siebziger Jahre hat Ray Jackendoff versucht, eine neue semantische Theorie zu entwickeln, die zu einer Chomskyanischen Syntaxtheorie passt und den hohen wissenschaftlichen Ansprüchen der generativen Grammatik gerecht wird. Mit dem Buch, das in diesem Seminar behandelt wird, behauptet er, dass diese semantische Theorie eine ähnliche Entwicklungsstufe erreicht hat wie die Syntaxtheorie mit Chomsky's Syntactic Structures (1957).

    Im ersten Teil des Seminars werden die Hintergründe der Theorie erklärt. Im zweiten Teil werden Studierende anhand von einzelnen Kapiteln des Buches Referate halten. Es wird empfohlen, dieses Buch zu kaufen.

    Jackendoff, Ray S. (1990), Semantic Structures, MIT Press, Cambridge (Mass.).

    Chomsky's Government and Binding Theorie

    Chomsky's Grammatiksystem gehört zu den meist gelobten und kritisierten Produkten der modernen Linguistik. Es besteht aus einer Reihe von Prinzipien, die in Interaktion miteinander erklären, welche Sätze grammatikalisch sind, und welche Struktur ein grammatikalischer Satz hat. Die Prinzipien gelten für alle Sprachen, enthalten aber Parameter, die gewisse Unterschiede zwischen den Sprachen erklären.

    In diesem Seminar wird der grösster Teil der Einführung von Haegeman behandelt. Nach Abschluss dieses Seminars sollten die Studierenden in der Lage sein, selbständig die meiste neuere Texte der auf Chomsky's Arbeit basierende Linguistik zu lesen. Jede Woche wird einen Kapitel oder ein Teil eines Kapitels behandelt. Statt einer Präsentation wird als Abschluss ein Aufsatz (±5 Seiten) oder eine Seminararbeit verlangt.

    Haegeman, Liliane (1994), Introduction to Government and Binding Theory, Second Edition, Blackwell, Oxford.

    Mentalismus in der Linguistik: Die Grammatik im Kopf

    Was ist Sprache und wie soll sie studiert werden? Eine einflussreiche Strömung der Linguistik im 20. Jahrhundert, u.a. repräsentiert von Noam Chomsky, geht davon aus, dass die Sprache ein im Kopf der Sprecher bestehendes System ist (Mentalismus). In dieser Veranstaltung werden zwei Bücher behandelt. Das eine (Newmeyer) positioniert die mentalistische Konzeption der Linguistik im grssseren Rahmen der Sprachwissenschaft. Das zweite Buch (Jackendoff) erklärt, wieso eine mentalistische Sicht auf Sprache und eine angeborene, spezialisierte Sprachlernfähigkeit angenommen werden.

    Die Veranstaltung ist für Studierende ab 3. Semester geeignet, die bereits eine Linguistikeinführung besucht haben. Die Bücher enthalten Literaturhinweise, die eventuell für Seminararbeiten benutzt werden können.

    Newmeyer, Frederick J. (1986), The Politics of Linguistics, University of Chicago Press, Chicago.

    Jackendoff, Ray (1993), Patterns in the Mind: Language and Human Nature, Harvester/Wheatsheaf, New York.

    Maschinelle Übersetzung

    Das Problem der maschinellen Übersetzung fasziniert Menschen schon länger als es Computer gibt. Dabei findet man einerseits die Behauptung, es sei grundsätzlich unlösbar, andererseits die, dass eine Lösung schon längst existiert. Ziel dieses Seminars ist es, solche Behauptungen besser zu verstehen. Dazu werden verschiedene Aspekte des Übersetzungsproblems, sowie einige bestehende Übersetzungs-systeme betrachtet und diskutiert. Vorausgesetzt werden lediglich Basiskenntnisse der Linguistik, keine Informatikkenntnisse.

    Hutchins, W. John & Somers, Harry L. (1992), An Introduction to Machine Translation, Academic Press, London.


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    18-Nov-2000 Pius ten Hacken